Wo die Entwicklung autonomer Züge steht

Wegen des neuen Bahnstreiks bleiben in vielen Zügen die Lokführerstände leer. So mancher Pendler sehnt da autonome Züge herbei. Doch die kommen nicht voran.

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(Bild: fotogru/Shutterstock.com)

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"Ich rechne damit, dass wir 2021, 2022 oder 2023 so weit sind, dass wir in Teilen unseres Netzes vollautomatisch fahren können", sagte der damalige Bahnchef Rüdiger Grube 2016 in einem Interview mit der FAZ. Ziemlich schlecht gealtert, diese Aussage. Heute sind autonome Züge immer noch in weiter Ferne – zumindest im Fernverkehr. Im Nahverkehr sieht es anders aus: Seit 2008 ist eine fahrerlose U-Bahn in Nürnberg unterwegs, seit 2022 auch in Hamburg. Im Güterverkehr gibt es ebenfalls erste Ansätze.

Dabei ist Schiene doch Schiene, sollte man meinen. Und wenn fahrerlose Taxis sogar schon durch belebte Städte wie San Francisco navigieren – warum verläuft die Automatisierung der Schiene dann so zäh?

Eine Antwort: Die Erfahrungen aus dem Nahverkehr lassen sich nur begrenzt auf Fernstrecken übertragen. Während U- oder S-Bahnen ihre eigenen geschützten Trassen haben, gibt es im Fernverkehr ein komplexes und offenes Streckennetz, mit vielen Betreibern, Bahnübergängen und Bahnsteigen, in denen es regelmäßig Kontakt zur Außenwelt gibt.

Auch autonome Autos taugen nur bedingt als Vorbild, denn sie sind im Wesentlichen auf sich gestellt und müssen nur wenig mit ihrer Umwelt interagieren. Züge hingegen sind Teil eines zentral gesteuerten Systems aus Weichen, Signalen, Fahrplänen und so weiter.

2017 begann auf einer 30 Kilometer langen Teststrecke im Erzgebirge der Versuch, das Prinzip der autonomen Autos auf die Bahn zu übertragen: Alle nötige Intelligenz sollte in den Fahrzeugen stecken, nicht in der Strecke. Kameras und Künstliche Intelligenz sollten Hindernisse und optische Signale erkennen. Mit dabei waren Partner aus der Autoindustrie, die bei der Interpretation solcher Daten reichlich Erfahrung haben.

"Das Projekt wurde nicht weiter fortgeführt", sagt Sören Claus, Geschäftsführer des Forschungsverbunds Smart Rail Connectivity Campus (SRCC) in Annaberg-Buchholz, der die Teststrecke betreibt. Die optische Erkennung habe zwar zu rund 90 Prozent funktioniert, aber bei Schneetreiben, Nebel oder blendender Sonne oft eben auch nicht. Das reiche für einen sicheren Betrieb nicht aus.

Der "solidere Weg" sei es, so Claus, die bereits vorhandenen digitalen Informationen zu nutzen. Diese werden im Rahmen des European Train Control Systems (ETCS) auf zwei Wegen übermittelt: Erstens durch "Balisen" – kleine Sender, die fest an den Gleisen angebracht sind und der Ortung dienen. Zweitens über das Funksystem GSM-R, einer speziellen GSM-Variante für den Schienenverkehr. Das ETCS ist zwar eine Voraussetzung für den autonomen Verkehr, wurde aber nicht speziell dafür entwickelt. Es soll unter anderem auch den europäischen Grenzverkehr und die Auslastung der Netze verbessern.

Allerdings wurde das ETCS in den vergangenen Jahren nur schleppend ausgebaut. Bis 2030 will die Bahn deutschlandweit 8000 Streckenkilometer damit ausrüsten. Im Moment sind es erst 500. "Es geht alles viel zu langsam", sagt Claus. "Es gibt zu wenig Investitionsmittel und zu wenig Investitionssicherheit." Zudem seien Investitionen nicht nur in die Strecke nötig, sondern beispielsweise auch in elektronische Stellwerke. "In den Bahnhöfen gibt es zum Teil noch mechanische Stellwerke aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts."

Doch ließe sich ein Zug nicht auch per Satellit genau genug orten, ganz ohne Balisen? Dazu gab es ebenfalls ein Forschungsprojekt. Es fand zum Teil auf Sardinien, zum Teil im Erzgebirge statt. "Auf Sardinien lief es noch ganz gut, aber im Erzgebirge war es nur halb erfolgreich", sagt Claus. Wetter, Wald und Berge hätten die Genauigkeit zu stark beeinträchtigt. Dazu kommt noch die Angst vor Hacker-Angriffen auf die Satellitensignale. Deshalb setzen die Forschenden auf die Fusion verschiedener Datenquellen – etwa Kameras, die Tunnelportale erkennen.

Auch bei einer funktionierenden Ortung bliebe noch das Problem der Hinderniserkennung. "Ein Mensch kann auf gerader Strecke etwa ein bis zwei Kilometer weit schauen", sagt Claus. Wolle man das auch mit Radar oder Lidar schaffen, brauche man unerschwinglich teure militärische Geräte. Industrieprodukte aus dem Regal könnten hingegen nur 300 bis 400 Meter weit blicken, was nur für Geschwindigkeiten unter 80 km/h reichen würde. Zudem können solche Sensoren kaum zwischen harmlosen Ästen und gefährlichen Hindernissen unterscheiden.

Andererseits können Radar und Lidar besser als der Mensch Nebel und Dunkelheit durchdringen. "Wenn man es statistisch betrachtet, könnten diese Sensoren also im Durchschnitt auch mehr Situationen abfedern", sagt Claus. Aber diese Sichtweise werde von der derzeitigen Rechtslage nicht erlaubt.

Eine weitere Baustelle ist die Datenübertragung. Derzeit beruht sie noch auf dem jahrzehntealten Mobilfunkstandard GSM (2G). Auf der Teststrecke im Erzgebirge wurde nun ein Versuchsfeld aufgebaut, um die Möglichkeiten von 5G zu erforschen. Die geringe Latenz und die hohen Übertragungsraten von 5G erlauben es beispielsweise, Kamerabilder von einer Lok in Echtzeit in eine Leitstelle zu übertragen und von dort aus einen Zug fernzusteuern. Das demonstrierten die Forschenden 2022 mit einer Rangierfahrt, bei der ein Zug in Schlettau von Braunschweig aus kontrolliert wurde. Die Daten legten den größten Teil der Strecke durchs Festnetz zurück, nur die "letzte Meile" zum Zug lief über 5G.

Die Remote-Operation ist auch für autonomes Fahren wichtig, zum Beispiel beim Abstellen von Zügen oder als Rückfalloption für Störungen. Oft muss aber trotzdem ein Mensch vor Ort erscheinen, etwa wenn Türen oder Trittstufen blockieren oder wenn es unklar ist, ob ein Aufprall auf ein Tier oder einen Menschen zurückgeht. Deshalb kann sich Claus die ersten autonomen Passagierfahrten am ehesten in Metropolen vorstellen, etwa auf dem Berliner S-Bahn-Ring, wo sämtliche Streckenabschnitte relativ schnell zu erreichen sind. Mit fahrerlosen ICEs rechnet er hingegen nicht so bald – auch, weil die Kosten für die Lokführer im Vergleich zu den dafür nötigen Investitionen nicht groß ins Gewicht fallen. Für ihn ist das autonome Fahren nur eines von vielen Puzzelstücken des digitalisierten Bahnverkehrs. "Es gibt da sehr viel nachzuholen in Deutschland", sagt Claus.

(grh)